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Alchemie der Transformation #1 – Zusammenhalt

Posted on Januar 5, 2022

Auch wenn Alchemie die Macht hat, Blei in Gold zu verwandeln und andere herausragende Veredelungsprozesse durchzuführen, ist die Wahl der Grundzutaten von größter Bedeutung. In dieser Serie “Alchemie der Transformation – wie man Transformationsprozesse online und offline befeuert” teilen wir unsere Erkenntnisse aus 65 Online-Experimenten und Interviews und 10 Austauschveranstaltungen mit Praktikern, die im Rahmen unseres europäischen Forschungsprojekts “Online Transformative Learning” durchgeführt wurden, sowie unsere langjährige Erfahrung mit wirkungsvollen Offline-Transformationsprozessen. 

Zunächst stellen wir einige wichtige Grundzutaten für erfolgreiche Transformationsprozesse vor. In späteren Folgen werden wir uns mit dem komplexeren Zusammenspiel und den richtigen Mischungsverhältnissen in der Prozessmoderation, der Programmgestaltung, der Wahl der Methoden, der Software und Evaluation beschäftigen. 

Mehr Infos über das Projekt Online Transformative Learning findest du hier. 

Zusammenhalt trotz Unterschiedlichkeit. Relief in Indianapolis, Photo: Andrew Seaman

Alchemie der Transformation #1 – Zusammenhalt

Von Jutta Goldammer

Jede große gesellschaftliche Herausforderung hat das Potenzial, zusammenzuschweißen oder zu spalten. Jede richtig große Herausforderung braucht das Zusammenwirken, Sich-Aufeinander Verlassen, Füreinander-Einstehen, um sie bewältigen zu können, insbesondere, wenn die Herausforderungen Transformationen beinhalten, weil der angestrebte Zustand noch unbekannt und mit Unsicherheit verbunden ist. Dann braucht es sowohl den emotionalen Rückhalt für die Hauptakteure als auch eine gründliche Verständigung darüber, wie ein neuer wünschenswerter Zustand aussehen soll. Doch da sind die lästigen Menschen, die ganz anderer Meinung sind. Wenn sie doch nur so dächten oder handelten wie wir, dann hätten wir einen ganzen Haufen weniger Probleme! Und? Hast du dich schonmal bei einem Gedanken dieser Art ertappt? Als Impfbefürworter:in, als Impfgegner:in als Klimaaktivist:in oder oder oder? Ich schon und ich bin nicht stolz darauf.

Seit einigen Monaten nehme ich wahr, wie Impulse der Trennung und Spaltung in und durch Medien, unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen, Familien und Freundschaften Unfrieden stiften und gemeinsames Handeln erschweren. 

Ich lade dich ein, mit mir auf die Erkundungsreise  zu gehen, um herauszufinden, wo und wie wir in diesen wilden Zeiten den Zusammenhalt stärken und ein konstruktives Miteinander fördern können – als Familienmitglied, als Bürger:in unseres Landes, unserer Kommune, als Bewohner:in dieses Planeten.

In diesem ersten Teil der Serie “Alchemie der Transformation” möchte ich mit dir Ideen teilen, die Brücken bauen und den Zusammenhalt fördern. Sie sind eine Mischung aus Selbstexperimenten, Erfahrungen der Visionautik Akademie, Erkenntnissen aus Interviews, Entdeckungen bei Menschen, die mich inspirieren sowie neugierig forschenden Behauptungen. Probier aus, was dich inspiriert und wirke in deinem Umfeld dabei mit, Verbindungen zu stärken, eine Kultur des Zusammenhalts zu nähren und geistige Gräben zu überwinden. Alle Anregungen, die dir nicht plausibel oder für dich nicht passend erscheinen, wirf getrost über Bord!

1 Mit Neugier Brücken bauen

Neugier hilft Brücken bauen und Gräben überwinden.
Neugier hilft Brücken bauen und Gräben überwinden.Photo: Carl Newton

Neugier ist ein Wunderelixir. Neugier hilft, sich in unbekanntes Terrain zu wagen, auch wenn es einem Angst macht. Neugier, oder sagen wir: echtes Interesse an dem, was der andere zu sagen hat, öffnet Türen und Herzen, auch von Menschen, die ganz anders sind als wir. Was dabei hilft: Für eine Weile mal die eigenen Vorstellungen parken und wohlwollend zu staunen, wie der andere durch seinen ganz persönlichen Mix an Erfahrungen und seiner Situation zu ganz anderen Wahrnehmungen und Schlüssen kommt. Was auch hilft, ist nicht zu verurteilen – weder den anderen, noch sich selbst mit den möglicherweise unangenehmen aufkommenden Gefühlen. Beides kostet manchmal richtig viel Überwindung, vor allem dann, wenn die andere deine eigenen Schmerzpunkte berührt oder deine Weltsicht in Frage stellt. Du kannst stolz sein, wenn es dir trotzdem gelingt. Mach den Menschen um dich herum einmal dieses Geschenk, sich ihnen voll ehrlichen Interesses zuzuwenden und ihre Ideen, Ansichten, Sorgen und Hoffnungen zu hören. Du wirst überrascht sein, wie auf diese Weise eine persönliche Nähe entstehen kann, auch dann, wenn ihr ganz unterschiedlicher Meinung seid.

Die Welt mit Wohlwollen anfüllen

Kindness is a Superpower.
Kindness is a Superpower. Photo: Andrew Thornebrooke

Wir leben in einer Zeit  massiver Verunsicherungen und es ist nicht verwunderlich, dass viele Menschen davon überfordert sind und sich an Strohhalme, davonschwimmende Felle und Sündenböcke klammern. Die gesellschaftliche Praxis von gestern wird gerade in vielen Bereichen radikal in Frage gestellt. Was gestern noch als gesichert galt, zählt nicht mehr – wem macht das keinen Stress?

Wie wäre es, auf Menschen, die gerade engstirnig und unverständlich handeln mit einem sanften, liebevollen, wohlwollenden Blick zu schauen, wie wir das mit jemandem tun, der einen harten Tag hatte und statt sie anzuklagen oder zu bekehren zu überlegen, wie wir ihnen den Stress und die Verunsicherung lindern könnten? Was könnte konkret dabei helfen, dieses Wohlwollen in den Alltag, das Berufsleben, die Lernräume zu bringen?

Räume der Sicherheit schaffen

Geborgen.
Geborgen. Photo: Igordoon Primus 

Eines der wichtigsten Hilfsmittel, das sich beim Begleiten unserer Visionautikteilnehmer:innen durch Unsicherheiten herauskristallisiert hat, ist eine Atmosphäre zu schaffen, in der jeder so sein darf wie er bzw. sie ist und jede:r willkommen ist, gehört und gesehen wird. Wie kraftvoll die sogenannte “Psychological Safety” ist, hat u.a. Google in seinem Forschungsprojekt Aristotle herausgefunden. Mehr dazu kannst du im nächsten Teil “Alchemie der Transformation” über Vertrauen lesen. Dazu gehört auch, sich selbst und anderen Gefühle zu erlauben – auch unangenehme Gefühle, die uns erschrecken, und die wir am liebsten sofort wieder weg hätten. Es muss nicht unbedingt etwas mit diesen Gefühlen passieren, alleine die Erlaubnis, sie wirklich zu fühlen, wirkt oft Wunder. Es gibt eine Reihe hilfreicher Tools und Settings für solch eine emotionale Hygiene, z.B. Bewusste Entladung, wie sie hier die Emotionsexpertin und Autorin Vivian Dittmar erklärt. Wenn du noch kein Umfeld hast, in dem so eine Praxis Platz hat, kannst du auch hier den Online-Entladungsraum nutzen. Außerdem kannst du dich von unserer Fotostrecke “10 Tipps für mehr Stabilität in deinem Leben” inspirieren lassen, was alles erdet und Sicherheit gibt.

Orte des Unausgegorenen bereitstellen

Experimentierfreude in Jean Tinguely “Le Transport”, 1963. Photo by Jmersina

Gestehen wir es uns doch offen zu – auf viele Probleme unserer Zeit haben wir noch keine befriedigende Lösung. Wie sollten wir? In der Komplexität, in der Gesundheit, Ökosysteme, das Verhalten von Menschen und anderen Lebewesen verwoben sind und in der Folgen des Handelns erst weit in der Zukunkt widergespiegelt werden, braucht es ein Tasten, Experimentieren und Ausprobieren. Stattdessen hängt oft ein ausgesprochener oder unausgesprochener Druck in der Luft, klare Positionen zu beziehen und möglichst ausgereifte, gut begründete Meinungen zu vertreten und sich damit ganz sicher zu sein – in Politshows, in Schulen, Unis oder privaten Diskussionsrunden. Die Folge? Wissenslücken werden kaschiert, Unsicherheiten überspielt, von einmal gefassten Meinungen lässt sich nur schwer abrücken, ohne das Gesicht zu verlieren. Wie schön wäre es, wenn es mehr von diesen Orten gäbe, an denen unausgegorene Dinge ausgesprochen und gemeinsam bewegt werden können, an denen man sich einem Thema nähern darf, ohne schon eine Meinung dazu zu haben, Räume des Suchens, Tastens, Forschens, eine explizite Kultur von Versuch und Irrtum und Nichtwissen, zu der Scheitern, Sackgassen und Fehlannahmen zwingend dazugehören.

Frieden schließen mit der Unsicherheit

Tastend durch unsicheres Gelände.
Tastend durch unsicheres Gelände. Photo: Lorenz Kerscher

Eine gute Grundlage für solche Orte ist ein freundlicher und gelassener Umgang mit Unsicherheit. Unsicherheit ist nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken. Wir sind aus 

dem zweifelhaften Paradies einer Gesellschaft mit festen Ständen, vererbten Berufen und festgefügten Rollenmustern entwachsen und natürlich wollen wir da auch nicht wieder zurück. Die Kehrseite ist aber, dass wir endlose Wahlmöglichkeiten und damit endlose Möglichkeiten haben, Entscheidungen zu treffen, die wir später bereuen. Es ist sehr viel anspruchsvoller,  im weiten Meer der Möglichkeiten zu navigieren als eine Straßenbahn zu fahren, die den Schienen von Vorfahren oder Autoritäten folgt. Anders als Angst, die das Handeln beschleunigt und das gründliche Denken blockiert, ist Unsicherheit ein Warnsignal, was uns dazu auffordert, langsam und vorsichtig zu gehen: “Achtung, hier kommt etwas Unbekanntes, etwas Neues, hier komme ich mit Routinen und Schema f nicht weiter”. Unsicherheit lädt uns also dazu ein, ganz wach und bewusst unseren Weg zu gehen. Eine Qualität, die Innovation befördert und ein angemessener Zustand in Zeiten des Nichtwissens ist. Sehr empfehlenswert zu diesem Thema sind Bücher und Vorträge von der Philosophin Natalie Knapp, gut zusammengefasst z.B. in diesem Video “Warum unsere Unsicherheit hilfreich ist”. Darüber hinaus ist es hilfreich, das eigene Standbein zu stärken. Hilfreiche Fragen könnten sein: Worauf kann ich bauen? Was hält mich selbst im Innersten zusammen und wo falle ich auseinander? Was hat auch dann noch Gültigkeit für mich, wenn alles wegbricht? Was gibt mir Kraft und Halt? Was lässt mich sicher fühlen?

Rituale des Loslassens und Neubegrüßens

Begrüßung des Neuen Jahres.
Begrüßung des Neuen Jahres. Photo: Noah Eleazar

Vermutlich hast du gerade in der ein oder anderen Form Silvester gefeiert, eines von vielen Übergangsritualen vom Alten ins Neue, die dabei helfen, Veränderungen mit Würde, Dankbarkeit, Freiwilligkeit und Vorfreude aufzuladen. Wir bei der Visionautik Akademie sind große Fans von Ritualen, seien es Übergangrituale wie z.B. Feuerlaufen und Pfeilebrechen oder Vergebungsrituale wie z.B. Ho’o pono pono. Sie geben Klarheit und stärken die Verbundenheit zwischen den Beteiligten. Wie können solche Rituale Brücken bauen und den Zusammenhalt stärken? Nun, Vergebungsrituale bauen trennende Mauern ab und öffnen wieder für eine Neubegegnung, selbst dann, wenn sie nur einseitig geschehen. Rituale des Loslassens und Neubegrüßens können in vielfältiger Weise unsere Kommunikationskultur bereichern, z.B. könnte jeder in einer kontroversen Diskussion einen alten Gedanken opfern und einen neuen feiern und damit dazu beitragen, dass es leichter fällt, sich auf die Gedanken der anderen einzulassen. Sicherlich fallen dir noch ganz andere Möglichkeiten ein, wie Loslassen und Neubegrüßen deinen Arbeitsalltag oder deine Lernräume freier und leichter macht.

Bewusster Umgang mit Bildern und Wörtern

Wörter und Bilder bewusst wählen.
Wörter und Bilder bewusst wählen. Photo: Glen Carrie 

Viele Bilder, die im Alltag, in der Politik und in den Medien benutzt werden, betonen das Trennende, verstärken ein “wir und die anderen”, hetzen manchmal regelrecht Gruppen gegeneinander auf und nähren Ängste und Schuldzuweisungen. Der Autor Fabian Scheidler beschreibt in seinem Artikel “Genug gespalten” in der Frankfurter Rundschau sehr anschaulich, welche Mechanismen dadurch anspringen und wie wichtig es ist, sich statt Grabenkämpfe zu führen um Themen zu kümmern, die wir nur gemeinsam angehen können. Es lohnt sich, sowohl sehr sorgfältig hinzuhören und zu prüfen, was durch diese Bilder bewusst oder unbewusst zwischen den Zeilen ankommt. Und es lohnt sich auch, sich selbst zu beobachten: Wo benutze ich Begriffe und Bilder, die spalten und Zwietracht säen und wo sorge ich durch die Art meines Denkens oder meiner Sprache, dass Versöhnung und Miteinander entstehen kann? Vielleicht unterstützt dich bei diesem Prüfungsprozess das bewährte Konzept, das Sokrates zugeschrieben wird, aber auch bei den Sufis, den Quäkern auftaucht – mit unterschiedlichen Namen: die drei Fragen, die drei Siebe oder die 3 Tore, die die Informationen passieren müssen, um Wert zu sein ausgesprochen zu werden: Ist es wahr? Ist es freundlich? Ist es notwendig? 

Verbinden durch Perspektivwechsel

Perspektiven wechseln. Photo: Meriç Tuna

Der klassische Perspektivwechsel, der hilft, Verbindungen schaffen, ist das Einfühlen in sein Gegenüber, um dadurch sanfter und liebevoller mit dem umzugehen, was uns am anderen stört. Besonders hilfreich hat sich in unserer Arbeit, aber auch in privaten Konflikten das Springen auf eine Art Vogelperspektive gezeigt, wie z.B. bei dem Harvard Konzept, das sich löst von Positionen und nach dem Interesse dahinter fragt, also z.B. welches Bedürfnis steckt hinter dem Wunsch, keine Maske zu tragen, SUV zu fahren, über andere zu lästern etc. Meist ist es viel leichter als die Position das Bedürfnis dahinter zu verstehen und überdies  eröffnen sich dadurch wieder mannigfaltige Möglichkeiten, diese Bedürfnisse  auf andere Weise zu befriedigen.

Ausprobieren

Lehne die Trennung ab.
Lehne die Trennung ab. Photo: Sarah Ardin 

Ich freue mich, wenn du einstimmst in die Bemühungen, Spaltung zu überwinden und uns Bewohner dieses Planeten zusammenzuschweißen, um gemeinsam unser Dasein zu feiern und unsere anstehenden Herausforderungen zu meistern. Lass uns gerne wissen, welche Erfahrungen du damit machst!

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